Was ist der Hintergrund der neuen Formel? Um dies zu verstehen, ist es wichtig, sich das Ziel der Arbeit der Teilchenphysiker vor Augen zu führen. “Was wir erforschen, sind Vorhersagen über Wahrscheinlichkeiten, dass bestimmte Ereignisse eintreffen werden, wenn Teilchen miteinander kollidieren”, sagt Dr. Gudrun Heinrich vom MPP und Co-Autorin der kürzlich erschienenen Publikation, in der das Forschungsergebnis veröffentlicht wurde.
Die Teilchenkollisionen ereignen sich in Teilchenbeschleunigern wie dem Large Hadron Collider (LHC) am CERN. Mit Hilfe dieser Experimente wollen Physiker lernen, welche Kräfte unsere Welt im Innersten zusammenhalten. Dafür lassen die experimentellen Teilchenphysiker*innen Protonen aufeinander prallen und beobachten was mit ihnen passiert: neue Teilchen entstehen, verschwinden, tauchen als andere Teilchen wieder auf; unzählige Ereignismöglichkeiten sind die Folge dieser Kollisionen. Die theoretischen Teilchenphysiker*innen hingegen rechnen bereits im Vorfeld aus, mit welcher Wahrscheinlichkeit bestimmte Ereignisse eintreffen werden – und tragen damit dazu bei, neue Entdeckungen über die Grundbausteine unserer Welt und deren Wechselwirkungen zu machen.
Zwei Teilchen rein, drei Teilchen raus
In diesem Fall haben sich die Wissenschaftler angesehen, was passiert, wenn zwei Teilchen in den Kollisionsprozess hineinfliegen und drei Teilchen wieder heraus. Klingt einfacher als es ist, denn das, was mitten im Kollisionsprozess geschieht, erfordert unglaublich komplexe Berechnungen. “Die Wechselwirkungen der Teilchen werden durch Feynman-Diagramme visualisiert. Je präziser wir rechnen, desto komplexer werden diese, bis selbst modernste Computer an ihre Grenzen stoßen”, sagt Prof. Dr. Johannes Henn, Direktor für Quantenfeldtheorie am MPP.
Trotzdem hat sich das internationale Team von Forschern am MPP zusammen mit Kollegen von der Durham University, der Universität Zürich, der Johannes Gutenberg-Universität Mainz sowie der University of Science and Technology of China dieser Herausforderung gestellt. Um das Problem anzugehen, war es notwendig, völlig neue mathematische Methoden zu entwickeln. Die Berechnung der Fünf-Teilchen-Streuprozesse in der sogenannten dritten Ordnung, fachsprachlich “mit zwei Schleifen”, hat insgesamt mehrere Jahre gedauert. Das letztendliche Ergebnis war dann höchst überraschend. “Am Schluss ist alles zu etwas frappierend Einfachem kollabiert”, fasst Dr. Heinrich knapp zusammen.
Ein kleiner, feiner Einzeiler kam heraus, ein Ergebnis, das einfach und zugleich höchst präzise ist. Vielleicht wichtiger als dieser Meilenstein sind die neuen Rechenmethoden, die das Forschungsteam entwickelt hat, da sich diese auf weitere Streuprozesse anwenden lassen. Damit tragen sie dazu bei, die Grundbausteine unserer Welt besser zu verstehen.
Weitere Informationen:
Prof. Dr. Johannes Henn forscht im Rahmen des European Research Council (ERC) Grants “Amplitudes” daran, Streuprozesse in der Quantenfeldtheorie besser verstehen und vorhersagen zu können. Streuprozesse entstehen bei der Kollision von Teilchen in Teilchenbeschleunigern wie dem Large Hadron Collider (LHC) am CERN in Genf. Sie sind der Ausgangspunkt für die Berechnung der Wahrscheinlichkeiten, mit denen bestimmte Kollisionsereignisse, wie zum Beispiel das Entstehen von bisher unbekannten Teilchen, vorhergesagt werden sollen.