Seit knapp zwei Jahrzehnten ist bekannt, dass Neutrinos – entgegen früherer Annahmen – überhaupt eine Ruhemasse besitzen. Doch vermag bisher niemand zu sagen, wie viel das Neutrino tatsächlich auf die Waage bringt. Das soll sich mit KATRIN ändern.
„Beim Neutrino laufen viele Fäden in der modernen Physik zusammen“, sagt Susanne Mertens vom Max-Planck-Institut für Physik. „Seine Eigenschaften helfen uns besser zu verstehen, wie unsere Welt aufgebaut ist – von den kleinsten Bausteinen in der Teilchenphysik bis hin zu den großräumigen Strukturen im Weltall.“ Zusammen mit zwei weiteren Wissenschaftlerinnen koordiniert Mertens die Arbeiten des internationalen Analyseteams im KATRIN-Experiment.
Mit dem „Super“-Teilchen verbinden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auch die Hoffnung, auf bisher unbekannte Physik zu stoßen, also Phänomene, die nicht mit dem altgedienten Standardmodell der Teilchenphysik zu erklären sind.
Das schier Unmessbare messen
Ausgangspunkt für die Massebestimmung des Neutrinos ist Tritium – eine radioaktive, schwere Sonderform von Wasserstoff. Beim Zerfall von Tritium-Kernen entsteht jeweils ein Elektron und ein Neutrino. Sie teilen sich die Zerfallsenergie von 18.600 Elektronenvolt (eV).
Wie sich diese Energie auf beide Teilchen verteilt, ist zufallsbedingt. „Allerdings wissen wir durch Einsteins berühmte Formel E=mc², dass das beim Zerfall nicht direkt beobachtbare Neutrino mindestens seine Ruhemasse behalten muss – und diese Masse dann dem Elektron fehlt“, erklärt Mertens.
Genau diesem winzigen Fehlbetrag von höchstens 2 eV* sind die KATRIN-Forscher mit ihrer Neutrinowaage auf der Spur. Sie soll messen, welche maximale Energie die Elektronen aus dem Beta-Zerfall von Tritium erreichen. Vereinfacht gesagt: Zieht man diese von der Zerfallsenergie (18.600 eV) ab, erhält man die Neutrinomasse.
Auswertung von vielen Milliarden Zerfällen
Um den wissenschaftlichen, statistisch signifikanten Nachweis für die Neutrinomasse zu erbringen, müssen enorme Datenmengen verarbeitet werden. Gegenüber früheren Neutrinomasse-Experimenten besitzt KATRIN eine hundertfach intensivere Tritiumquelle: In jeder Sekunde ereignen sich 100 Milliarden Tritiumzerfälle.
Bei jedem Zerfall entstehen ein Elektron und ein Neutrino. Allerdings trägt nur etwa ein Elektron pro Sekunde relevante Informationen zur Bestimmung der Neutrinomasse. In einem Zeitraum von drei Jahren analysieren die Wissenschaftler mehrere Milliarden Elektronen.
Aufbau des Experiments
Die Tritiumquelle besteht aus einem 16 Meter langen hochkomplexen Kryostaten, der wie alle anderen Komponenten der Quelle im Tritiumlabor Karlsruhe (TLK) aufgebaut ist. Mit seiner weltweit einzigartigen Tritium-Infrastruktur gab das TLK den Ausschlag für den Standort am KIT.
Die Elektronen aus der Quelle werden über starke Magnete zum Herzstück von KATRIN geleitet, dem riesigen elektrostatischen Spektrometer. Dieses wurde 2006 in einer aufsehenerregenden Reise vom Hersteller in Niederbayern auf dem Schiffsweg über die Donau, das Mittelmeer und dann rheinaufwärts zum KIT gebracht.
Nach vielen Jahren der Planung und des Aufbaus sowie der Inbetriebnahme der Großkomponenten des insgesamt 70 Meter langen Experimentaufbaus freuen sich die knapp 200 Mitglieder der internationalen KATRIN Kollaboration aus 20 Institutionen in sieben Ländern, dass die Messungen nun im Juni 2018 starten.
*2 Elektronenvolt entsprechen der unvorstellbar geringen Masse von 3,6 x 10-36 Kilogramm
Kontakt:
Prof. Dr. Susanne Mertens
Max-Planck-Institut für Physik
+49 89 32354-590