Neutrinos entstehen bei radioaktiven Zerfällen, bei Kernreaktionen, die Sterne zum Leuchten bringen – und beim Tod massereicher Sterne in Supernova-Explosionen. Sie wurden beim Urknall gebildet und zählen zu den am häufigsten vorkommenden Teilchen im Universum: Pro Sekunde durchdringen 60 Milliarden Neutrinos eine Fläche in der Größe eines Fingernagels ohne Spuren zu hinterlassen. Neutrinos haben eine sehr geringe, bis heute unbekannte Masse und wechselwirken daher kaum mit ihrer Umgebung.
Das Neutrino spielt eine zentrale Rolle für unser Verständnis des Universums; seine Eigenschaften sind daher Gegenstand zahlreicher, meist hochkomplexer Experimente. Der MPP-Wissenschaftler Raimund Strauss hat einen neuen experimentellen Ansatz entwickelt, der den Namen NU-CLEUS trägt.
Mit nur 10 Gramm leichten Kristalldetektoren will er die schwer nachweisbaren Neutrinos näher erforschen. Das Prinzip basiert auf einer extrem seltenen, sehr kleinen, aber messbaren Wechselwirkung: Ein Neutrino trifft auf einen Atomkern im Kristall und prallt von diesem ab – ähnlich wie zwei Kugeln in einem Billardspiel. In der Fachsprache nennt man diesen Vorgang kohärente Neutrino-Kern-Streuung.
Mit seinem Experiment war Raimund Strauss im Wettbewerb um die jährlich vergebenen ERC Starting Grants erfolgreich: Für die Weiterentwicklung des Experiments und seine Forschungsarbeiten erhält er 1,6 Millionen Euro.
„Der Aufbau von NU-CLEUS eignet sich speziell dafür, Neutrinos mit einer sehr geringen Energie zu untersuchen“, erklärt Raimund Strauss. „Die bisherigen Experimente dafür sind technisch und finanziell sehr aufwändig und groß.“ Interessant bei NU-CLEUS ist auch der Standort: Der Wissenschaftler plant, das NU-CLEUS-Experiment in unmittelbarer Nähe zu einem Kernreaktor zu betreiben, wo radioaktive Zerfälle eine große Anzahl von Neutrinos im gewünschten Energiebereich produzieren.
Die Detektoren bestehen aus Kalziumwolframat, ein Kristall, das bereits im CRESST-Experiment zur Suche nach Dunkle-Materie-Teilchen verwendet wird. In den letzten Jahren ist es in Zusammenarbeit mit dem Sonderforschungsbereich 1258 an der Technischen Universität München gelungen, diese Detektoren immer feiner auf niedrige Energien einzustellen: Die Detektoren sind um eine Größenordnung empfindlicher als ihre Vorgänger. Daneben soll eine Detektorvariante aus Aluminiumoxid zum Einsatz kommen.
Raimund Strauss ist zuversichtlich, bereits nach kurzer Zeit Zusammenstöße von Neutrinos mit dem Detektormaterial registrieren zu können: „Das ist der Ausgangspunkt für detaillierte Messungen, zum Beispiel des Weinbergwinkels, der die elektrische mit der schwachen Elementarladung verknüpft. Außerdem wollen wir mit dem Experiment nach sterilen Neutrinos suchen – ein besonderer Neutrino-Typ, der als Kandidat für Dunkle Materie infrage kommt.“