Am SuperKEKB-Beschleuniger treffen Elektronen und Positronen im Belle II-Detektor aufeinander. In den Kollisionen sucht das Experiment nach seltenen Zerfallsprozessen. Diese könnten zum Beispiel die Frage beantworten, warum im Universum mehr Materie vorhanden ist als Antimaterie.
„Um die wenigen, relevanten Signale auch wirklich zu finden, braucht man sehr viele Daten“, sagt Christian Kiesling, Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Physik und einer der Köpfe hinter der Neuentwicklung. „Dies setzt voraus, dass der SuperKEKB möglichst hohe Kollisionsraten, also eine hohe Luminosität erzielt. Die Kehrseite: Die Kollisionen produzieren neben wenigen verwertbaren Ergebnissen viel Ausschuss, also nicht verwertbaren Hintergrund.“
Die Kollisionsraten des SuperKEKB sind so groß, dass selbst die modernsten Datenerfassungssysteme nicht in der Lage sind, alle Ereignisse für eine spätere Analyse auf einem externen Speicher zu übertragen. „Daher brauchen wir ein Auswahlverfahren, das in Echtzeit Signale vom Hintergrund unterscheiden kann: einen sogenannten Trigger,“ erklärt Kiesling. „Dabei geht es sehr sportlich zu: Um die richtige Entscheidung zu treffen, bleiben dem Belle II-Trigger nur wenige Millionstel Sekunden“.
Vorbild menschliches Gehirn
Hier kommt die künstliche Intelligenz ins Spiel: eine Maschine, die zuverlässig die Erkennung komplexer Muster im Mikrosekundenbereich erledigt. Bei Belle II setzt man auf künstliche neuronale Netze. Deren Architektur und komplexe Verschaltung orientiert sich am biologischen Vorbild menschlicher Gehirnzellen; implementiert werden sie auf moderner Hardware. „Damit können sie die gewaltige Aufgabe der schnellen und komplexen Mustererkennung meistern“, so Kiesling weiter.
Bei Belle II ist der neuronale Trigger darauf ausgelegt, Teilchenspuren auf einem Areal von wenigen Zentimetern korrekt zu erkennen. Diese Spuren stammen von Ereignissen, die bei einer Kollision entstanden sind, und werden daher als Signal eingestuft. Spuren außerhalb der Kollisionszone sind höchstwahrscheinlich auf Hintergrundereignisse zurückzuführen.
Nach den ersten Erfahrungen mit dem neuen System zeigt sich Kiesling optimistisch: „Schon nach wenigen Tagen sehen wir, wie präzise der Trigger arbeitet“, sagt Kiesling. „Damit können wir künftig wesentlich mehr echte Signale auswerten, die uns hoffentlich neue Erkenntnisse liefern.“
Kirschen picken mit dem Trigger
Wie arbeitet ein Trigger? Ein Beispiel: Ein Förderband transportiert Kirschen (das Signal), aber auch nicht essbare Gegenstände wie Murmeln und Kieselsteine (den Hintergrund). „Um bei der physikalischen Analogie zu bleiben, befinden sich auf dem Band wesentlich weniger Kirschen als Murmeln und Steine,“ erläutert Kiesling. „Das Förderband läuft in einer blickdichten Röhre. Nur durch eine kleine Öffnung von einem halben Meter Länge – dem Detektor – kann man Kirschen, Murmeln und Steine sehen“
Das Band läuft mit hoher Geschwindigkeit (hohe Luminosität), Kiesel, Murmeln und Kirschen durchqueren die Öffnung sehr schnell. Eine Person steht an der Öffnung und soll nur die Kirschen herauslesen. Sie muss die vorbeiziehenden Gegenstände auf dem Band erkennen und unterscheiden (Trigger), die Hand ausstrecken, die Kirschen greifen und sie vom Band nehmen (Datenaufzeichnung).
Im Beschleunigerexperiment liegt die Zeit für das Kirschen- bzw. Signal-Picken bei wenigen Mikrosekunden. Bei technischen Triggersystemen wählt man eine Reihe von einfachen logischen Bedingungen für den Trigger, die von bestimmten Elementen des Detektors abgeleitet werden. Beim Belle-II-Experiment wird die Trigger-Aufgabe dadurch erschwert, dass nicht nur Kirschen im Detektor gesucht werden, sondern auch eine Reihe anderer interessanter „Früchte“ mit komplexen Mustern.
Wie arbeiten neuronale Netzwerke?
Neuronale Netze arbeiten mit Eingangsgrößen, zum Beispiel mit Sensorsignalen, die in eine Schicht aus „Neuronen“ eingespeist werden. Diese Signale stimulieren das Netzwerk, die Antwort bzw. die Entscheidung des Netzwerks wird davon bestimmt, wie fest verdrahtet Eingangs- und Ausgangsneuronen sind. Man spricht dabei auch von Gewichten. „Diese Gewichte müssen trainiert werden, genauso wie bei Nervenzellen im Gehirn“, erklärt Kiesling. „Das entspricht dem Lernprozess.“
Bei künstlichen neuronalen Netzen wird dieser Lernprozess in einer mathematischen Abfolge dargestellt. Dem Netz werden die Eingangsdaten mehrfach präsentiert und die Gewichte solange verändert, bis die Ausgänge das gewünschte Ergebnis liefern.
Zurück zu Kirschen, Murmeln und Steinen: „Anhand der Muster dieser Objekte lassen sich die Gewichte der neuronalen Verbindungen trainieren“, erklärt Kiesling. „Verschiedene Reize, wie z. B. Form, Größe und Farbe, werden so lange angeboten, bis das Netzwerk die Gegenstände korrekt identifiziert.“ Die Ein- und Ausgaben von künstlichen neuronalen Netzen sind echte Zahlen, auch die Gewichte sind Zahlen. Sie bewerten die Gegenstände auf dem Förderband mit einer Zahl nahe „1“ (=Kirsche) oder nahe „0“ (=Kieselsteine oder Murmeln).