Das Ausgangsteilchen bei dem beobachteten Zerfall ist ein geladenes Kaon, das aus zwei elementaren Quarks besteht. Dass Kaonen in ein geladenes Pion - ebenfalls ein Quark-Paar - und zwei Neutrinos zerfallen können, war vorhergesagt worden. Die Berechnungen der Theorie zeigten auch, dass der Zerfall extrem selten ist - nur eines von 10 Milliarden Kaonen durchläuft diesen Prozess. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des NA62-Experiments haben die Existenz dieses Zerfalls jetzt bewiesen.
Doch warum ist dieser Nachweis so wichtig? Der Aufbau der Materie und die Wechselwirkungen der Elementarteilchen gelten als gut erforscht und sind im so genannten Standardmodell der Teilchenphysik verankert. Allerdings gibt es zahlreiche Phänomene, die sich mit der heute bekannten Physik nicht erklären lassen. Wissenschaftler*innen suchen daher nach Prozessen, die neu sind und vom Standardmodell abweichen.
Genau so eine Überraschung könnte die aktuelle Entdeckung zu bieten haben. Der Zerfall selbst “passt” zum Standardmodell, allerdings tritt er etwas häufiger auf, als zu erwarten wäre. Eine Erklärung dafür wäre, dass ein neues, bisher unentdecktes Teilchen hier seine Finger im Spiel hat: Es könnte wie eine Art Katalysator wirken und die Wahrscheinlichkeit für den Zerfall erhöhen. Diese Möglichkeit lässt sich nur mit weiteren Messungen mit NA62 überprüfen. In einigen Jahren sollte das Experiment ausreichend Daten liefern, um neue Physik zu bestätigen oder auszuschließen.
Die Messungen mit dem NA62-Detektor laufen seit dem Jahr 2016. Der Zerfall des Kaons in ein Pion und zwei Neutrinos war bereits gemessen worden, allerdings genügten die früheren Daten nicht, um das Ergebnis statistisch zu untermauern. Erst mit den jüngst analysierten Messdaten aus den Jahren 2021 und 2022 waren ausreichend Daten vorhanden, um das Ergebnis mit einer Signifikanz von 5 Sigma statistisch abzusichern - und damit experimentell zu belegen.
Das NA62-Experiment nutzt den Protonenstrahl im SPS-Beschleunigerring am CERN. Die energiereichen Protonen werden auf ein festes Ziel geschossen und wandeln sich dabei in andere Teilchen um. Diese Sekundärteilchen fliegen in den NA62-Detektor. 6 Prozent davon sind Kaonen, deren Zerfallsprodukte exakt gemessen und ausgewertet werden. Die MPP-Gruppe beteiligt sich am NA62-Experiment über den ERC Starting Grant „AxScale“ und die Lise Meitner-Gruppe „Auf der Suche nach einer neuen, leichtgewichtigen Physik“. Sie konzentriert sich insbesondere auf die Auswertung der mit NA62 gewonnenen Daten.