Auf dem Weg zu neuer Physik

Das Standardmodell der Teilchenphysik

Die Experimente in der Teilchenphysik lassen sich erfolgreich durch das so genannte Standardmodell der drei fundamentalen Wechselwirkungen – stark, schwach und elektromagnetisch - beschreiben. Dies reicht von Niederenergiephänomenen wie beim Beta-Zerfall (etliche Megaelektronenvolt, MeV) bis hin zu Hochenergieprozessen (einige hundert Gigaelektronenvolt, GeV) wie bei der Produktion der schwachen Eichbosonen W und Z und des Top-Quarks. Auch das letzte fehlende Teilchen im Standardmodell, das Higgs-Boson, wurde kürzlich am LHC nachgewiesen. Es gibt daher kaum Zweifel daran, dass das Standardmodell die Teilchenphänomene, zumindest bis zu den heute erreichbaren Energien, richtig beschreibt. 


Trotz dieses Erfolgs stellen sich weiterführende Fragen, die das Standardmodell der Teilchenphysik in seiner jetzigen Form nicht beantwortet. So gibt es zum Beispiel keine Begründung dafür, warum es offenbar genau drei Quark-Lepton-Familien gibt. Ebenso ist unklar, wie die Hierarchien der Massen der einzelnen Quarks und Leptonen sowie die unterschiedlichen Mischungen innerhalb der Quark- und Lepton-Familien zustande kommen. Schließlich ist die vierte fundamentale Wechselwirkung im Standardmodell nicht enthalten: die Gravitation, mit der vermutlich die Dunkle Materie und möglicherweise auch die Dunkle Energie zusammenhängen.

Materie-Antimaterie-Asymmetrie im Universum

Eine wichtige Konsequenz der Mischung zwischen den drei Quark-Familien ist die Verletzung der Symmetrie zwischen Materie und Antimaterie: Experimente mit K- und B-Mesonen haben gezeigt, dass Materieteilchen, also zum Beispiel B-Mesonen, geringfügig andere Zerfallsmuster zeigen als deren Antiteilchen, die Anti-B-Mesonen. Ein Unterschied im Zerfallsmuster zwischen Teilchen und Antiteilchen („CP-Verletzung“) ist die Voraussetzung, um die beobachtete Materie-Antimaterie-Asymmetrie im Universum zu erklären.    

B-Mesonen sind aus einem Anti-b-Quark und einem leichten Quark, zum Beispiel einem u-, d- oder s-Quark aufgebaut. Anti-B-Mesonen bestehen aus einem b-Quark und einem Anti-u-, Anti-d- oder Anti-s-Quark. Das phänomenologische Modell von Kobayashi und Maskawa kann die beobachteten Quarkmischungen im Rahmen des Standardmodells durch Einführung einiger weniger Parameter (drei Mischungswinkel und eine CP-Phase) erklären.

Inzwischen haben die Experimente BaBar und Belle an den beiden B-Factories am SLAC (USA) und beim KEK (Japan) in eindrucksvoller Weise die CP-Verletzung bei B-Meson-Zerfällen nachgewiesen – und damit die Theorie von Kobayashi und Maskawa bestätigt. Die beiden Forscher erhielten dafür im Jahr 2008 den Nobelpreis für Physik.

Gleichwohl reicht die im Standardmodell verankerte CP-Verletzung bei Weitem nicht aus, um die Materie-Antimaterie-Asymmetrie im Universum zu erklären. Es gilt daher als unausweichlich, dass „Neue Physik“ jenseits des Standardmodells – also bei höheren Energieskalen – existieren muss. Dafür sprechen auch die bereits erwähnten anderen Unzulänglichkeiten des Standardmodells. Am Large Hadron Collider (LHC) wird nach der Entdeckung des Higgs-Bosons nunmehr intensiv nach solchen neuen schweren Teilchen gesucht.

Suche nach Neuer Physik in Quanten-Loops

Der LHC arbeitet mit Energien bis zu 13 Teraelektronenvolt (TeV) und könnte Teilchen mit einer Masse von bis zu 5 TeV detektieren. Der Hochenergie-Bereich ist jedoch nicht die einzige Möglichkeit, nach Neuer Physik zu suchen. Neue Teilchen können sich auch durch virtuelle (Quanten-Loop-) Effekte in Reaktionen mit bekannten Teilchen bei niedriger Energie erschließen. In der Geschichte der Teilchenphysik war dies schon häufiger der Fall: Das schwere Charm-Quark wurde durch unterdrückte Zerfälle des leichten neutralen K-Mesons vorhergesagt, die Existenz einer dritten Generation von Quarks und Leptonen ist lange vor ihrer Beobachtung durch die Kobayashi-Maskawa-Theorie der CP-Verletzung im K-System nahegelegt worden.

Auch die Massen des Top-Quarks, und letztlich auch das Higgs-Teilchen, wurden durch virtuelle Effekte aus den Niederenergie-Daten richtig vorhergesagt. Weil Quanten-Loop-Effekte typischerweise mit steigender Masse der virtuell ausgetauschten Teilchen kleiner werden, ist der entscheidende Punkt für solche Physik die hohe Präzision. In der Tat können Hochpräzisionsexperimente Energieskalen für Neue Physik aufspüren, die für die gegenwärtige und sogar die nächste Generation von Collidern nicht zugänglich sind. 


Präzisions-Experimente mit B-Mesonen sind bei der Suche nach Neuer Physik in Quanten-Loops die beste Wahl: Insbesondere b-Quark-Umwandlungen mit gleicher Ladung (z.B. von bottom zu strange), also neutrale, Flavor-ändernde Ströme, sind im Standardmodell ausschließlich in höherer Ordnung, also in Quanten-Schleifen (auf dem „loop level“), möglich und daher stark unterdrückt. Somit könnten potenziell große Effekte durch Neue Physik zu erwarten sein.

Schließt man etwa generische Flavor-verletzende Neue Physik mit Kopplungen der Größenordnung 1 ins Standardmodell ein, so erlauben die gegenwärtigen Flavor-Daten solche zusätzlichen Beiträge nur für Skalen jenseits von etwa 10 bis 100 TeV. Dies zeigt, wie sensitiv Präzisionsexperimente auf sehr hohe Massenskalen sein können. 

Super-Flavor-Factories

Um einen wesentlichen Schritt in der Präzision der Messungen voran zu kommen und das Standardmodell auf den Prüfstand zu stellen, muss die Luminosität der B-Factories drastisch gesteigert werden: Im japanischen Teilchenforschungszentrum KEK wird momentan die frühere KEKB-Anlage, die bis zum Jahr 2010 in Betrieb war, auf den neuen SuperKEKB-Collider hochgerüstet.

Wie KEKB besteht auch SuperKEKB aus zwei getrennten Speicherringen für Elektronen und Positronen mit unterschiedlichen Energien (7 GeV für Elektronen, 4 GeV für Positronen). Allerdings wird bei SuperKEKB ein neues Fokussierungssystem eingesetzt, das die Luminosität um einen Faktor 40 oder mehr gegenüber dem alten Weltrekord von KEKB erhöhen wird. Gleichzeitig wird der frühere Belle-Detektor zu Belle II modernisiert. Eine wesentliche neue Komponente von Belle II ist der Pixel-Vertex-Detektor.       

Mit integrierten Luminositäten jenseits der 50 ab-1 (pro Attobarn) werden die experimentellen Unsicherheiten aus dem Belle II Experiment um fast eine Größenordnung gegenüber den gegenwärtig veröffentlichten Daten sinken. Damit sind völlig neuartige und speziell auf Neue Physik ausgerichtete Messungen möglich. Abhängig davon, wie stark die Neue Physik an bekannte Teilchen koppelt, werden dann auch Massenskalen im Bereich jenseits der 100 TeV zugänglich.